Begegnungen mit sanften Riesen

Ende September: Das Kap ist unsere letzte Etappe einer fantastischen Reise und Safari - vom Etosha-Nationalpark durch die Namib, über Namaqualand bis hinunter ans Ende des Kontinents. Während unsere Freunde noch drei Tage Kapstadt unsicher machen, zieht es uns nach Hermanus, wo wir zwei beeindruckende Meeresbewohner anzutreffen hoffen, die wir bislang nur auf der Mattscheibe oder im Kino bewundern konnten - Wale und Weiße Haie.
   Von Juli bis Ende Oktober versammeln sich hier alljährlich die "Southern Right Whales", um sich zu paaren, zu gebären und die Jungtiere für die bald anstehende Wanderung in antarktische Gewässer aufzupäppeln. Die vielsagende englische Bezeichnung für diese riesigen Meeressäuger stammt aus Walfang-Zeiten und steht genau dafür, was sie impliziert: den "richtigen" Wal, der so richtig viel Tran und Fleisch abwirft. Südliche Glattwale (ein dickes Dankeschön an diesen Namensgeber!) wurden Ende der Vierzigerjahre unter Artenschutz gestellt, nachdem sie bis auf rund 200 Exemplare dezimiert waren und eine Bejagung sich nicht mehr gelohnt hat.
   Der kleine Ort entlang der malerischen Bucht rüstet gerade zum jährlichen "Whale Festival" - ab morgen wird's übers Wochenende rundgehen und sich mit Besuchern von nah und fern füllen, die zum Whale Watching, Picknick, Shoppen auf kleinen Märkten, Open-Air-Konzerten oder zur Mini-Kirmes kommen. Es bahnt sich ein ganz schöner Trubel an! Bereits in Betrieb ist einer dieser monströsen Jahrmarktsattraktionen, die Sitzreihen mit kreischenden Leuten hochschleudern und wieder in fast freiem Fall hinuntersausen lassen. An einigen Ständen wird gebrutzelt, ein Gaukler, der wie ein lebender Obststand aussieht, wankt kopflastig um uns herum - wir wollen ihn fragen, was er darstellt, aber er visiert bereits andere Leute an und entfernt sich behäbig. Ein ganz schönes Kontrastprogramm zu unseren vergangenen drei Wochen Wüsten-Einsamkeit - auch in Bezug auf das Wetter: Es weht uns ein böiger und eisiger Wind um die Ohren, und ab und zu ergießt sich gar ein Regenschauer aus tief hängenden, schwarzen Wolken.
   Egal - wir schlagen uns in die Küsten-Fynbos und auf die Klippen, die einen absolut umwerfenden Blick auf die Hermanus-Bucht und ihre derzeitigen Gäste bieten. Dass diese so zahlreich und teilweise so nah am Ufer sein würden, hätten wir uns nicht träumen lassen. Sie dümpeln da einfach träge auf den Wellen, tauchen ab und wieder auf, blasen geräuschvoll Wasserfontänen hoch in die Luft, lassen sich rücklings treiben, den weißen Bauch aus dem Wasser gestreckt, oder "winken" in lockerer Seitenlage ganz lässig mit ihren riesigen Finnen.
   Begeisterte Jubelschreie schallen von den Felsen beim erhebenden Anblick, wenn sich eine der mächtigen Schwanzflossen behutsam aus dem Wasser erhebt, um
dann wieder sanft einzutauchen. Frenetisches Gejohle wie beim entscheidenden Elfmeter im Fußballstadion begleitet die anmutigen und kraftvollen Sprünge der Wal-Männchen, die sich offenbar produzieren, um den Weibchen zu imponieren (denken wir uns so - aber vielleicht macht's ihnen einfach nur unglaublichen Spaß). Mit welcher Eleganz an die 80 Tonnen bei einer Körpergröße von rund 18 Metern mehrere Salti hintereinander hinlegen, teilweise rückwärts, ist schon beeindruckend.
   Und nicht zu übersehen und ein (fast) ebenso beliebtes Fotomotiv sind natürlich auch die possierlichen Dassies, die zwischen den Felsen umherturnen und die ungeteilte Aufmersamkeit auf ihrer Seite haben, wenn einmal bei den größeren Kollegen im Wasser draußen eine Ruhephase eingetreten ist. Dann entspannen wir uns auch mal zwischendurch und lauschen dem astreinen A-Cappella-Gesang der Schwarzen, die sich vor kurzem hier eingefunden haben, um sich ein paar Rand zu verdienen und ganz fürchterlich frieren. Aber ihre Mützen, die vor ihnen auf dem Boden liegen, füllen sich schnell.
   Dass wir uns langsam losreißen sollten von hier, wird uns bewusst, als die Dämmerung einsetzt. Typisch. Den ersten Tag bar jeglicher Gruppendisziplin, Absprachen und eindringlicher Empfehlung, das allabendliche Quartier unbedingt noch bei Tageslicht zu erreichen, und schon sind alle Unkenrufe vergessen - dann suchen wir halt im Finstern unser Guesthouse.
   Was für Namibia wirklich ratsam ist, kommt uns hier in der "Zivilisation" etwas übertrieben vor. Allerdings müssen wir noch nach Gansbaai/De Kelders, das zwar von Hermanus aus gesehen auf der gegenüberliegenden Seite der Bucht so nah erscheint, aber satte 45 Kilometer entfernt ist. Die "Zivilisation" und somit auch jegliche Beleuchtung hört hinter Hermanus unvermittelt auf. Menschen queren im Stockdunkeln die Fahrbahn, alle möglichen Tiere setzen über die Straße, und wir fahren vorsichtshalber langsam, trotz Super-Straße.
   Nach einer nicht enden wollenden, anstrengenden Fahrt entdecken wir mit Erleichterung das ersehnte und auf unserem Anfahrtsplan aus dem Internet angegebene Ortschild, bei dem man nur noch rechts runter ans Meer zur Küstenstraße fahren muss - dann solls da gleich links um die Ecke sein. Bis wir besagte Küstenstraße finden, geschweige denn unsere Whalesong Lodge, klappern wir mangels eines genaueren Ortsplans eine weitere gute Stunde sämtliche Quer- und Längs- sowie Einbahnstraßen und Sackgassen von De Kelders ab - bei spärlichster Straßenbeleuchtung, an fast ausschließlich unbewohnten Ferienhäuschen vorbei, natürlich keine Menschenseele unterwegs, die man nach dem Weg fragen könnte. Irgendwann findet die Odyssee ihr Ende und wir stehen davor.
Das nächste Mal sollten wir zusehen, dass wir noch bei Tageslicht ankommen...


Auge in Auge mit dem Weißen Hai

Wie gerne hätten wir eine dieser ganztägigen, von Meeresbiologen und Tierfotografen begleiteten Bootstouren von Simons Town aus in der Falsebay gemacht: Die Bucht östlich der Kaphalbinsel ist eines der wenigen Gewässer weltweit, wo die "springenden Weiße Haie" zu beobachten sind. Mit rasantem Anlauf schießen sie aus der Tiefe nach oben, um sich ihre Beute, meist Robben, zu schnappen, was in absolut spektakulären Luftsprüngen endet. Linda träumt schon seit langem davon, so etwas mitzuerleben. Aber drei Dinge sprechen dagegen: Diese Tour ist über Monate im Voraus ausgebucht (da wären wir eh' zu spät dran gewesen), natürlich ist sie wetterabhängig, fällt bei Sturm aus und wird erst bei ruhigem Seegang nachgeholt (dazu sind wir mit lediglich drei Tagen hier zu unflexibel) und sie kostet ein Vermögen (es fängt bei 500 Dollar pro Person für den Vormittag an, die Ganztagstouren liegen bei 900 - selbstverständlich ohne Sichtungs-Garantie).
   So nehmen wir das Angebot unserer Lodge an, für uns
eine Hai-Tour bei einem der zahllosen Anbieter vor Ort zu buchen - sofern denn überhaupt einer bei dem derzeitig unbeständigen Wetter und den hohen Wellen in See sticht. Heute heißt es noch warten. Wir erkunden die Klippen, auf
der unsere Lodge mit fantastischem Blick über die Bucht
liegt, entdecken, dass im Ortsteil eineinhalb Kilometer weiter das Leben so richtig pulsiert, erforschen das Kap rund um Kleinbaai mit seinem malerischen Leuchtturm und einem tosenden Indischen Ozean. Wir kehren am Spätnachmittag zurück - eigentlich ist die Lodge ja kinderleicht zu finden. Die abendliche Suche nach dem empfohlenen Restaurant, das Freunde unserer Gastgeber gerade eröffnet haben, gestaltet sich wiederum etwas schwierig - unser De Kelders befindet sich im gewohnten, finstersten Dornröschenschlaf. Dafür haben wir eine Flasche Wein dabei, die man uns in der Lodge verkauft hat mit dem Hinweis, dass das Lokal noch keine Genehmigung zum Ausschank von Alkoholika besäße.
   Am nächsten Morgen ist es dann tatsächlich soweit: Unser Bootstrip wird trotz Regen und ganz nettem Sturm telefonisch bestätigt. Treffpunkt für alle Teilnehmer ist das Büro von "Skark Diving Unlimited" am Hafen von Kleinbaai, den wir von gestern bereits kennen. Wir löhnen bei einer reichlich gelangweilt dreinblickenden Mitarbeiterin 180 Dollar, während hektisch im Nebenzimmer Tauchausrüstung an andere Anwesende verteilt wird. Wir brauchen sowas nicht, denn in den Haikäfig werden wir ohnehin nicht steigen. Uns genügt schon der Kick, überhaupt einen der prachtvollen Raubfische zu Gesicht zu bekommen (und außerdem ist das Wasser bestimmt saukalt...).
   Unser kleines Boot mit etwa zwanzig aufgekratzten und munteren Leuten an Bord nimmt hinter der Hafenmole rasant Geschwindigkeit auf. Der Seegang ist enorm, das Schiff donnert abwechselnd über und gegen hohe Wellenberge - den ersten Passagieren ist das Lachen vergangen. Ungefähr drei Minuten nach Ablegen ist achtern das erste qualvolle Würgen zu vernehmen. Das wird sicher noch ein netter Ausflug, wie schön, dass wir beide seefest sind! Ehe wir nach einer 20-Minuten-Fahrt unser Beobachtungsziel, eine winzige Felseninsel, erreichen, hat sich außer uns beiden und einem anderen Pärchen jeder seines Frühstücks entledigt. Hans ist zwar irgendwann ziemlich grün um die Nase, hält sich aber wacker, den Blick fest auf den Horizont gerichtet.
   Wir ahnen bereits, dass die Wahl des Veranstalters nicht die glücklichste war (nicht wegen der Seekranken!). Unser Kapitän hat bisher außer einem knappen Willkommensgruß an Bord noch kein einziges Wort, geschweige denn irgendetwas Informatives von sich gegeben. Dafür scheucht er jetzt die Schwarzen, den Käfig ins Wasser zu lassen, die bereitstehenden Köder auszuwerfen und die Eimer mit Blut über Bord zu kippen. Während sich die ersten Wagemutigen in ihre Neoprenanzüge quälen, gibt der Chef knapp wichtige Verhaltensregeln bekannt: Schnell jeweils sechs (!!) Leute rein in den Käfig - hintereinander - und dann nicht die Arme zwischen den Stäben herausstrecken. Es wird zehn Minuten gewartet, bis sich ein Hai nähert, dann sollen alle ihre Fotos machen, und die nächsten kommen dran. Die Leute im Boot sollen nicht die Arme über die Reeling hängen, denn Haie sind blitzschnell und könnten zuschnappen (hätten wir jetzt nicht gedacht...). Ein Video wird auch gedreht, das man für 30 Dollar am Nachmittag kaufen kann.


    Die erste Käfigladung wird unter Wasser gelassen. Unglaublich, aber tatsächlich nähert sich schon bald eine der unverwechselbaren Rückenflossen. Unser erster Hai live - und es ist ein Weißer! Seine markante spitze Nase taucht kurz auf, dann reißt er mit kurzem Ruck den Köderfisch von der Leine. Ein zweiter Hai patroulliert am Schiff entlang. "Tourist-Watching", denken wir - er guckt neugierig aus dem Wasser zu uns herauf. Dass sein Kumpel etwas Fressbares ergattert hat, ist ihm nicht entgangen. In Ermangelung eines nicht schnell genug versenkten weiteren Köders beißt er einfach mal in den Käfig. Das Mädchen, das genau dort sitzt, will zurück ins Boot.
   Anlass für einen Schichtwechsel. An Bord geht es drunter und drüber: Alle, die nicht mit An- und Ausziehen beschäftigt sind, drängen sich auf der einen Bootsseite, wo sich jetzt mehrere Jäger versammeln. Jeder will natürlich den Moment einfangen, in dem der Hai seine Zähne zeigt. Wir hoffen, dass das Schiffchen die Schlagseite wegsteckt...Vom oberen Deck trieft das Wasser von den ausgezogenen Neoprenklamotten auf uns herunter. Die zweite Käfigtruppe wird gerügt und muss etwas gebändigt werden - man ist sich über die Stehordnung hinter Gitter nicht einig. Das kräftige Dümpeln des Bootes sorgt für eine weitere Übelkeitswelle einiger Passagiere - was für ein Chaos! Einer der ersten Taucher berichtet, dass man im Wasser kaum etwas erkennen kann - es ist trübe und dunkel, und der Hai ist nur für Sekunden schemenhaft zu sehen. Wir sind zufrieden, in sicherer Obhut des Decks zu sein, hier einen optimalen Logenplatz zur Beobachtung der faszinierenden Raubfische zu haben und uns nicht auch übergeben zu müssen.
   Nach pünktlich zweieinhalb Stunden wird der Käfig zum letzten Mal hochgehievt - die sechs hatten Pech: kein Haikontakt. Es geht zurück nach Kleinbaai. Unser Kapitän weist noch einmal auf das Video hin, das in ein paar Stunden im Büro erhältlich ist.
    An die Begegnung mit dem beeindruckenden und wundervollen Raubfisch denken wir mit sehr gemischten Gefühlen zurück. Dass eine Veranstaltung, die für viele sicher nicht alltäglich ist, derart lust- und lieblos aufgezogen sein muss, verstehen wir nicht. Aber Weißen Haien so nahe gekommen zu sein, ist für uns trotz fragwürdigem Ambiente ein ganz besondereres und unvergessliches Erlebnis.

   Fazit: Wenn ihr mehr Zeit habt als wir, informiert euch besser mal über die zahlreichen Touren-Anbieter vor Ort. Einen Ausschluss von Seekrankheit garantiert euch keiner, aber sicher werdet ihr etliche finden, denen der Herrscher dieser Gewässer eine würdevollere Präsentation wert ist.